Vergessen und Verdrängen

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Mittwoch, 6. Februar 2013

Selbstverständlich haben sie recht, die Bewahrer der Wahrheit im Guten und Schönen: Es tummelt sich unsäglich viel Kroppzeug auf dieser Spielwiese Internet. Damit meine ich allerdings weniger diese viel und gern zitierten sogenannten Tanja-Anjas, diese Freunde der farblich eingerahmten Versatzstücke, von deren Anfängen und Enden sie meist nicht einmal auch nur eine Ahnung haben. Übel auf stoßen mir die Stammtischphilosophen aller Färbungen, deren Denkhorizont so weit reicht wie ihr Sprachvermögen. Sie sind es wahrscheinlich auch, die es mit dem (geistigen) Eigentum so halten wie mit ihrem Verständnis von Demokratie. Irgendwo haben sie mal was gehört oder beim Lesen (mal wieder) was nicht richtig verstanden — wir sind das Volk, und dem gehört nunmal alles im demokratischen Internet. Mit Begriffen wie Urheberrecht können sie allein deshalb nicht umgehen, weil es ihnen an Abstraktionsvermögen mangelt. Mittlerweile kennzeichnet kaum noch jemand, allem voran bei Facebook, die Herkunft eines Bildes. Es ist Allgemeingut, also muß man diejenigen auch nicht nennen, die etwas geschaffen haben. Daß es sich dabei häufig um Menschen handelt, die als Sturm aus Scheiße in Massen über eine Frau Schavan* – die ich im übrigen für ein Synonym dieser durchaus gängigen Praktiken halte –, herfallen, weil sie plagiiert habe, sei nur am Rande erwähnt.

Einer plappert's den anderen nach, ohne sich zu vergewissern, was es bedeutet. Ich könnte jetzt punktgenau den Begriff des Hinterfragens anführen, den ich auf seine ursprüngliche Bedeutung zurückführe, der einen geistigen, möglicherweise gar eine Stufe eines akademischen Aktes zur Erlangung eines akademischen Grades darstellte. Aber alle Welt, gerne die der Nichtdenker, plappert vom Hinterfragen, wenn schlichtes Nachdenken gemeint ist. Auch wird nichts mehr vergessen, sondern längst wird alles verdrängt, ein Mechanismus, der uns überwiegend aus der Pychologie bekannt sein dürfte. Und ständig ist vom Titel die Rede, der der Dame aberkannt worden sei. Da nutzt es überhaupt nichts, daß die Fachleute, im aktuellen oder auch akuten Fall die der Universität Düsseldorf, in aller Öffentlichkeit vom akademischen Grad sprechen. Die öffentlich-rechtlichen Vorsprecher des völkischen Mundes geben die sprachliche Richtung an, indem sie beharrlich vom Titel reden, vermutlich um einen Ausgleich dafür zu schaffen, daß der Adel und damit die Titel abgeschafft wurden, das Volk sich jedoch übermäßig danach sehnt. Einer schreibt eben vom anderen ab. Unter rechtem Licht betrachtet, war das schließlich immer so. Doch ist es immer eine Frage, was hinten dabei herauskommt.

Nehme ich als weiteres Beispiel mangelnder Sorgfalt Joseph Beuys. Wenn sie mal von ihm gehört oder gelesen haben, dann meistens seine verpostkartierte Schlagzeile, jeder Mensch sei ein Künstler. Das hat er eben so nie gesagt, und ich sage es seit den frühen achtziger Jahren zum soundsovielsten Mal, genauer: Da hing noch etwas dran an dieser heißen Linie, das die Aussage wesentlich verändert. Beuys sagte in einer kritisch-ironischen und wegen der Lernunfähigkeit eines seiner Studenten auch leicht wutentbrannten Anmerkung in der Düsseldorfer Kunstakademie zu eben diesem: Jeder sei ein Künstler, nur er sei keiner. Ein halber Satz also, aber damit eine ganz andere Wahrheit. Doch genommen wird sie gerne, vor allem von denen, die’s gerne etwas komprimierter haben.

Das Volksgebirge kreist – und gebiert nurmehr Mäuslein.

* Notwendig sollte es nicht sein, aber das Bedürfnis nach Wertefreiheit drängt mich dennoch danach, es kundzutun: Mir war Frau Schavan, wie ihre politische Partei insgesamt, immer zutiefst unsympathisch.

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