Vergessen und Verdrängen

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Donnerstag, 5. März 2009

Der Kuli der (Fernseh-)Nation?

Von Daniel Buchta

Rudi Carell hätte Ihn sich gut als Nachfolger vorstellen können; aber mit dem kann Thomas Gottschalk sich nicht identifizieren: der «zielt ihm zu oft unter die Gürtellinie». Kulenkampf dagegen ist der Mann, den «sowohl Ärzte als auch Hausfrauen akzeptieren». Aber noch fühlt sich Gottschalk für solch hohe Aufgaben nicht «reif genug. [...]

Den Helmut Schmidt findet er ganz gut. Von seinem Bundesbruder im Katholischen Studentenverein, Franz Josef Strauß, möchte er im Ausland nicht so gern repräsentiert werden. Und wie der Friedrich Nowottny Politik verkauft, so herrlich süffisant, damit kann er auch was anfangen. Überhaupt: mit dem Verkaufen hat er's. Wie zum Beispiel die Ware Politik sich zusammensetzt, kapiert er «nicht so recht», der Tommy, Sprachrohr der Jugendlichen, die «genau so angeknackst sind wie die Gastarbeiter und andere Randgruppen».

Letzteres ist die Summe der Erfahrungen, die er als freier Mitarbeiter der «Jungen Welle» des Bayerischen Rundfunks machte, zu dem er 1971 als Sieger eines Disjockey-Wettbewerbs stieß. Zwar schrieb er dort auch Reportagen über «amnesty international» oder den «Selbstmordverhütungsverein Die Arche», merkte aber bald, daß sein Gebiet doch eher die Unterhaltung ist, letztendlich «der Speck, mit dem man Mäuse fängt». Die Mäuse sind zwischen 15 und 26 Jahre alt, und die fängt er seit 1978 allabendlich mit seiner Hörfunksendung «Pop nach acht» in Bayern 3 mit solchen Begrüßungen: «Heute 1031 Grüße bekommen. 31 haben geschrieben, einer hat 1000 Grüße geschickt.»

Hinter solchen Mono-Tönen ließe sich leicht ein Rattenfänger vermuten, beauftragt von einer nicht ganz koscheren Unterhaltungsindustrie und deren öffentlich-rechtlichen Protagonisten. Doch Gottschalk ist einfach nur «seine Crux: daß ich als ernst zu nehmender Journalist zu sehr den Weg des geringsten Widerstands gegangen bin». Er spielt lieber, da tut er sich leichter «als mit dem harten Rangehen an Themen». Und es ist nicht einmal kokett, wenn er wiedergibt, wie ihm die Lehrer des Fachs in dem er einzig «überm Durchschnitt» war, die Deutsch-Aufsätze oftmals kommentierten: «Sie verstehen es ausgezeichnet, weitgehende gedankliche Leere durch sprachliche Stärke zu verdecken.»

Der Sonnyboy, der sich vorstellt, eines Tages ein Kuli der Nation werden zu können, ist allenfalls jetzt schon einer: Einer von vielen, den man vor den Karren einer platitüdenbekränzten Unterhaltungsmaschinerie gespannt hat. Die Beweisführung wäre beispielsweise damit anzutreten: Die ARD verliehen ihm für seine «sprachlich starke» Sendung «Pop nach acht» den «Kurt-Magnus-Preis» (zur Förderung journalistischen Nachwuchses).

Er ist auch keiner, mit dem man möglicherweise sein öffentlich-rechtliches Alibi-Soll erfüllen könnte. Sohn eines Rechtsanwalts und einer Hausfrau aus Schlesien, humanistisch erzogen und auch geschult, anfänglich bei den Münchner Germanisten immatrikulert und dann zur Pädagogischen Hochschule übergelaufen, zugleich Studium am «Institut zur Förderung Journatistischen Nachwuchses» der Deutschen Bischofskonferenz, Praktikum beim konservativen Münchner Merkur. Zwischendrin Sprecherprüfung beim Bayerischen Rundfunk und erstes Staatsexamen als Hauptschullehrer für Deutsch und Geschichte.

Also kein Aushängeschild nach dem Motto: «Hierzulande kann es jeder schaffen.» Gleichermaßen intelligent und spontan, spiegelt er eigentlich mehr eine Bildungs- und (eben) Kulturpolitik, die in Stoßrichtung Süd-Nord zusehends virulent wird: «Historische Zusammenenhänge? Schauen Sie sich doch mal um in den Pädagogischen Hochschulen. Wer begreift denn da Zusammenhänge?!»

«Konservativ und sicher auch gläubig» macht er sich natürlich auch Gedanken über Gott und die Welt. Über die Entziehung der Lehrerlaubnis des Theologen Hans Küng durch den Vatikan zum Beispiel. Er ist durchaus der Meinung, daß «der Küng sicher ganz in Ordnung ist». Aber er findet es auch richtig, daß er «raus ist, weil er ja die kirchliche Lehre zu vertreten hat». Der Papst kann doch gar nicht anders, sonst «käme ja das ganze Gefüge ins Rutschen».

Privatfernsehen? Ja, aber es müsse deshalb nicht unbedingt Springer- oder Straußfernsehen sein. Man müsse die Trägerschaft überdenken. Er selbst jedoch ist «ein Macher, über die Strukturen müssen die anderen sich Gedanken machen». Trotzdem will Thomas Gottschalk, auch wenn das Privatfernsehen kommt, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk «treu bleiben». Nur erwartet er von dem etwas mehr «Puste in die Szene». — Ab 19. Februar können wir erleben, was das für ein Wind ist, der uns da aus der Szene entgegenbläst.


Vorwärts, 7. Februar 1980, S. 25

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