Vergessen und Verdrängen |
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Mittwoch, 17. April 2013
daniel buchta, , 11:32h
Muß in einer deutschen Fernsehproduktion, die hörbar aus eingezogenen Geldern spricht, deshalb ein Herr klingen wie ein rhetorischer eher schwach begabter oberbayerischer oder niederrheinischer Politiker oder eine mitteldeutsche Politikerin vor der hauptstädtischen pfälzischkohlschen Waschmaschine? Das sind dann die Situationen, in denen man noch verärgerter ist über diese Menschen, die einen in den Rundfunkräten volksnah sitzend vertreten. Vielleicht schämt man sich ihrer auch deshalb so sehr, daß man sich also aus des Tages Schau, aus dem Heute ausklinkt, das Gerät abschaltet. Nein, die Familie mag ja in die Ferne sehen heute abend, mag sehen, wie die Welt auch außerhalb des eigenen, schlichten Mikrokosmos aussieht, mag vielleicht ein bißchen richtig Dramatisches vorgespielt bekommen. Man wechselt also in ein anderes Programm, von der ARD zum ZDF oder zum WDR, weil im privaten TieWie sowieso immer Bullen mit Barbies dialogisieren, oder wie im nicht-öffentlich-rechtlichen Hörfunk, wenn sich Chefredakteure in ihrem Klassik suggerierenden Radio mit jener Rinderhirnsülzestimme beziehungsweise -sprache melden, die klingt, als ob man im Krematorium über Weihnachten die Kühlung abgeschaltet hätte. Man mag also in eine gut gemachte schöne Welt hineinsehen, nicht in eine gutgemachte, also heile, nein: nicht in die kultige von Geisendörfer oder in die von Mariens Hof oder Rosens Gärten, wo zwar hübsche, aber ständig Dämliches absondernde Menschen herumspringen, in denen ich als Minderheit also permanent diskriminiert werde, weil meine Fernsehsehnsucht in den Drehbüchern nicht existiert. Man wechselt also meinetwegen in ein leidliches Programm. Und gerät, wie anders, in eine wiederholte Wiederholung. Man sieht eine wohlanzuschauende Schauspielerin, die bislang immer Anlaß genug war, sich von ihr zu verabschieden, da wider alle Verlautbarungen durch die Medien, sie sei von großer Größe und überdies hocherotisch, von ihr, wann auch immer, nur das zu sehen war, was als Abziehbild großer und hocherotischer Darstellungskunst geboten wurde und man mit der allgemeinen Begeisterung nie Schritt halten konnte. Denn es begab sich ein Interview mit besagter Akteurin, aus dem hervorging, daß es sich bei ihr um eine Frau handelte, die über eine mich fast schon verblüffende Intelligenz verfügte, die sich in erstaunlichen, nicht zuletzt weil wohlgeformten Sätzen ausdrückte und deren natürliche, unprätentiöse Offenheit ungemein anziehend wirkte. Man will also gegen seine in Urteile umgekippten Vorurteile angehen und sich einen Banausen schelten, dem mangelhafte Konzentration und Ungeduld vorzuwerfen ist. Man wird bei ihr bleiben und ihr zuhören und zuschauen, wie das während dieses Interviews durchaus mit Konzentration, vielleicht sogar Faszination geschah. Man sieht in einer Naheinstellung, zu seiner Verblüffung, ein Gesicht, das allenfalls noch eine Verwandtschaft mit jener jungen Frau aufweist, die in besagtem Interview brillierte; sie könnte die etwas ältere Zwillingsschwester sein, der die Natur etwas weniger an Charme und Eloquenz mitgegeben hat. Sie spricht mit einem sehr gutaussehenden Mann, in den sie sich verlieben wird; das wird überaus rasch deut(sch)lich, wohl von der Drehbuch-Regie-Angst gehetzt, ich könnte wütend eigenmächtig über das familiare (Fern-)Sehnen hinaus den Abschaltknopf drücken, da der Handlungsablauf nicht schnell genug sichtbar wird. Ich denke an das Ignorantentum in mir, das es niederzuringen gilt, und bleibe an der Zwillingsschwester hängen, auch wenn diese nur einen Bruchteil des Eis ausmacht. Die beiden haben sich wohl über eine Bekanntschaftsanzeige kennengelernt; ich weiß es nicht so genau, da ich mal wieder, wie im allseits bekannten und immer wieder herbeikokettierten Schulklischee, passagen-, quasi stundenweise gefehlt habe, weil schließlich oder, neudeutsch und altschweizerisch, schlußendlich auch ein Hippie mal Pipi muß. Ein wenig hat sie ihm wohl im Hoffungstaumel vorgeschwindelt, vermutlich, wie es druckzeitens in Zeitungsanzeigen hieß, aus paritätischen Gründen, denn sie muß gestehen, nichts als eine psychologische Beraterin mit täglicher Sendung im Hörfunk zu sein. Er ist Arzt, einer, der, in des Begriffes bester Bedeutung, in Mode ist und überwiegend mit besserverdienenden Akademikern und Kunst oder ähnlichen Glaubensarten Umgang hat. Als beider Sehnsuchtsdialog für mich das erste Mal am deutschen Fernsehabendfirmament aufleuchtete, zuckte meine Fernbedienungshand wie sein Jaguar, der wegen motorischer Störungen dringend in die Werkstatt müßte. Doch seinetwegen war ich ja nicht mit in diesen Fernsehabend gegangen. Nach der quasi ursächlichen Zwillingsschwester habe ich dann also noch einmal, zweimal, ja dreimal geschaut; das Interview irrte nach wie vor in meinen Kopf herum und suchte ständig nach ihr, wollte wissen, ob sie doch noch ihren Auftritt hat. In die eine, Hoffnung aufkeimen lassende Einstellung — es war immer noch der Bruchteil der Zwillingsschwester — stakste dann dieser Mensch in der Sprache herum, das Radiomikrophon vorm Mund, als ob M. A. Numminens bedauernswerte, ja unglückselige Romanfigur Virtanen statt finnischem Gehtango plötzlich eines jener ‹Kunststücke› tanzen sollte, die er so verabscheute und die nur ein Latino mit fettigen Haaren vollbringen konnte: argentinischen Tango. Und auch bei der Schilderung der Gesichtsmaske, die ihr eingefroren sein mußte, half mir alleine M. A. Numminen mit einem finnischen Tangotext von Olavi Karu weiter: «Sabina, du schönste Perle der meinen,Auch beim zweiten Mal, sie trug beim Ausstieg aus der englischen Zahnarztvoiture ihr Präsent, eine langstielige gelbe Rose, begann in mir wieder Herr Virtanen zu schwelgen: «Danach war Humppa angesagt, mir war etwas leichter ums Herz, ich ging an die Bar und bestellte Tee. Tief durchatmen und sich in Ruhe umsehen. Mein Gott, ich liebe die finnischen Tanzschuppen! Keine Verkrampfung, keine gesteltze Konversation, keine beklemmende Gesellschaft. Jeder darf er selbst sein.» Und beim dritten Mal spürte ich, daß sie wohl nicht mehr auf der Bühne erscheinen würde. Wahrscheinlich hatte sie das vom Hauptabteilungsleiter überarbeitete Drehbuch gelesen und sich gesagt, daß sie ein solches Engagement besser nicht annehmen sollte, da es extrem rufschädigend sein könnte, und ihre Zwillingsschwester gefragt, ob sie die Chance nutzen wolle, ins Geschäft zu kommen. Die hatte mich dann endgültig davon überzeugt, daß mir nie wieder ein gebührenfinanzierter deutscher Film Vergnügen bereiten sollte. Es ist schlicht zu deprimierend, zu desillusionisierend, das deutsche Fernsehabenteuer. Aber wenigstens schildern will ich, was ich gesehen habe. Ach nein, Virtanen kann das besser: Nein, vor dem nächsten Familienfernsehabend lege ich mich lieber in eine Flasche Pastis oder vielleicht besser noch GaBiKo vom Allerbilligstheimer. Nicht, weil ich bereits über fünfunddreißig und somit reif für die Anstalt bin, sondern weil ich mich auf diese Weise vorab adäquat betäubt haben werde. * Alle Zitate aus: M. A. Numminen, Tango ist meine Leidenschaft (aus dem Finnischen von Elke Fuhrmann), Haffmans Verlag, Zürich 2000 |
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