Vergessen und Verdrängen

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Mittwoch, 20. Februar 2013

Lorenz Meyer hat mit einem fast marktlogischen kleinen Kunstkniff Kasimir Malewitschs Schwarzes Quadrat plagiiert und damit zugleich jede Urheberrechtsdebatte ausgehebelt.

Kunst kommt von Kunst. Können ist etwas anderes. Vielleicht das, was man gelernt, geübt und immer wieder geübt hat, was das Talent einst in Fluß gebracht brachte, ohne das Kunst nicht «funktioniert». «Kunst kommt von Können» ist die Formel derer, die Kunst nicht vom Handwerk unterscheiden (können? wollen?): Kunsthandwerk. Ja, daraus ist der Begriff Kunst (auch) entstanden: Kunstfertigkeit. Die ist überall zu sehen in den Palästen und den Tempeln. Sicher, die alten Künstler verstanden ihr Handwerk, den Genius hatten allerdings auch nicht alle in sich. Und ein wenig haben die Zeiten sich dann doch verändert im Lauf der Zeit, seit dem altgriechischen τέχνη (téchne), aus dem diese Kunst-von-Können-Meinung hervorgegangen ist und auf dem das aus dem Alten sich nährenden Mißverständnis beruht: zunächst mal jede Art von Fertigkeit, Geschicklichkeit, Können, et cetera. Dann aber, ein Weilchen nach Aristoteles und Platon, beispielsweise mit Heidegger: «Téchne bedeutet nie die Tätigkeit eines Machens», aus téchne ist Kunst geworden, allerdings jenseits des Handwerklichen, sondern im Entwickeln einer Idee, der Fortführung eines Gedankens, ob in der bildenden Kunst oder der Lyrik, in der darstellenden Kunst die Fähigkeit, aus der Vorgabe etwas Neues entstehen zu lassen. Selbst wenn ich den Schamanen einschweben lasse in meine Vorstellungswelt, der einst weit vor Platon in seiner Höhle stand und mit Hilfe götterlicher Eingebung seine Visionen von einem besseren Leben hingebungsvoll, heute hieße das wohl leidenschaftlich, auf Hand und Wand prustete, assoziiere ich dabei weniger dessen frühe handwerklichen Fähigkeiten als allenfalls die Einnahme einer Droge namens Vergeistigung sprich Sprit, vielleicht besser Spirit(ualität). Und ach, später sollte ein deutscher Politiker dazu äußern, wenn man Visionen habe, dann solle man besser einen Arzt aufsuchen.

Die Manager hießen früher auch Direktoren oder ähnlich. Von ihnen habe ich einige kennengelernt im Lauf von rund vier Jahrzehnten, die ich in diesem Geschehen herumturn(t)e. Sie mußten oder müssen auch alle Betriebe oder gar Konzerne führen, hatten und haben demnach keine Zeit. Aber die Guten haben sie sich genommen, nehmen sie sich. Weil sie im Bewußtsein lebten und leben, daß ohne Kultur rein gar nichts geht, oder zum anderen, weil sie ohne sie nicht sein woll(t)en, da sie zum Leben gehört. Sie alle haben trotz Zeitmangel Musik gehört oder gespielt, im Smoking oder in Jeans, gelesen oder geschrieben, nicht nur Bilanzen oder Kündigungen, manchmal sogar gezeichnet oder gemalt; wobei sie das Praktizierte nicht unbedingt aus- oder vorgestellt wissen wollten, wie das heutzutage manch ein Schauspieler meint, der einen Pinsel halten oder eine Tastatur bedienen kann. Sich für all das zu interessieren, bildet nämlich; der Klappentext vermag das nicht zu leisten. Die Manager, von denen häufig die Rede ist, kommen mir teilweise vor wie der während meines Vortrags über den Wandel des Ästhetik-Begriffs eingeschlafene Student (die Party ging wohl ein bißchen länger, aber für die Anwesenheit gab's schließlich 'nen Schein), der mir auf meine Frage, inwieweit er sich denn in der Geschichte seiner Kunst belesen habe, antwortete: «Ich bin Maler, ich lese nicht.» Der weiß logischerweise nicht, daß das, was er sich da ausgedacht hat, alles schon mal vorhanden war, nicht nur im Sinn von Tucholskys herrlichem Philosöphchen Es gibt keinen Neuschnee, sondern durchaus in der handfesten Aufzählung des nebenberuflich kritisierenden Lehrers, wann und wo und von wem dieses Sujet in seinem Bild bereits verarbeitet wurde. Deshalb ist manch ein Manager auch so erstaunt, wenn ihm andere vorhalten, die von ihm entwickelte Idee, in der er sich geradezu genialisch sonnt, sei gerademal ein frisch aufgebügelter, aber eben doch uralter Hut.

Und allzuviele Politiker sehen dabei auch sehr schlecht aus, oft schlechter noch als Führungskräfte aus der Wirtschaft. Mit denen habe ich teilweise miserable Erfahrungen. Angerissen ist das dort, wo die Volksvertreter sehr frei mit dem Geld anderer umgegangen sind, indem sie zweckgebundene Spenden einfach mal so eben nach den Prinzipien der öffentlichen Hand verwalteten. (Dabei ist das ja ein Bekleckern gegenüber der heutigen Praxis, das Geld containerweise aus dem Fenster zu kippen.) Die am wenigsten inspirierenden Gespräche fanden mit ihnen statt. Das erinnernde Bild tut sich dabei auf: Zehn, fünfzehn Menschen im Halbkreis um den Kamin, ein Großteil Schwarzbekittelte aus der Katholik, ein weiterer protestantisch in Reinform: Protest durch Schweigen, während alle anderen ständig was zu sagen hatten, nicht nur viel, sondern auch Substantielles. Aber woher soll's auch kommen, wenn man sich mit dem Leben nicht beschäftigt und als Pfarrer nicht liest oder mal anderswo hinschaut, weil man ja zu predigen hat. Ausnahmen gab's unter Politikern nur dann, wenn andere sie ins Boot geholt haben, weil sie sich dadurch die Belebung des politischen Lebens erhofft hatten, die sie selbst nicht herbeizubringen in der Lage sind. Nur ganz wenige von ihnen sind nach meiner Erinnerung über längere Zeit dabeigeblieben wie etwa der langjährige Münchner Kulturreferent Jürgen Kolbe<>. Andere, etwa dessen Nachfolger und spätere Kulturstaatsminister des Bundes, Julian Nida-Rümelin, haben relativ bald die Segel gestrichen und sind wieder unter die Fittiche ihrer Berufung etwa eines Professors für Philosophe zurückgeflohen. Das klappt irgendwie nicht in der Bundesrepublik Deutschland. In Frankreich hat das Denken einen anderen Stellenwert, mit Mitterand haben sich die geistigen Größen die Beraterklinke in die Hand gegeben; und sind dafür bezahlt worden. Gerhard Schröder, man mag über ihn denken, wie man will, hat bereits als niedersächsischer Ministerpräsident eher den Mund gehalten und andere, von ihm Engagierte für sich sprechen lassen, wenn's um Kunst und Kultur ging. Er war es ja auch, der den nicht nur schönen Julian ins Bundeskulturschiff und ihn ans Steuer gelassen hatte. Ganz früher, vor dem Dauerkanzler Kohl, gab es mal den einen oder anderen Schriftsteller im Bundestag, zum Beispiel, um nur einen zu nennen, Dieter Lattmann; der hat recht aktiv gegen den Pfälzer mitgewirkt. Und heute? Wer will sich das antun, gegen diese Merkel, Steinmaier Steinbrück und wie sie sonst noch alle heißen, die ihre und keine anderen als rein privatwirtschaftlichen Interessen verwalten, in denen Kultur den Stellenwert des tief ausgeschnittenen Grünen Hügels, nicht Hegel, hat?

Sie machen es den Stadt- und Staatsvätern vor: Das Lübecker Holstentor rief vor ein paar Jahren danach, Scherzlein hin oder her, mit Werbung zugehängt werden, da das Geld die Trave hinunter ist. Und der Tourist stört sich längst nicht mehr weiter daran, vermutlich sähe er's gar nicht mehr, da er an solche Bilder längst gewohnt ist via Fernsehen oder Internet et cetera. «Der Megatrend geht wohl schon dahin», schrieb mir vor einiger Zeit ein Bekannter, «dass Sponsoring sich der klassischen Werbung immer mehr annähert und sich dabei immer mehr vom Mäzenatentum alter Schule entfernt.» Wobei es das Mäzenatentum alter Schule schon lange nicht mehr gibt, jedenfalls nicht in der Form, die einer breiteren Öffentlichkeit, ach was, so gut wie nicht bekannt ist. Dabei sollte zumindest erwähnt werden, daß bereits die Klassiker in die Politik reichende Interessen damit zu verbinden wußten, was zweifelsohne die Blutsverwandtschaft beziehungsweise die Erbfolge bis ins Jetzige belegt, allerdings insofern häufig unter dem ungünstigen Vergleich, als sich manch ein heutiger Manager zwar fühlt wie in der Epoche der Wiedergeborenen, dafür aber von keinerlei Kenntnis getrübt wird, weil es ihm an der Muße oder am Interesse mangelt, sich mit ihr zu beschäftigen (nicht zu vergessen diejenigen, die ihr aus unterschiedlichen Gründen nicht unbedingt wohlgesonnen sind). Aber es gibt sie dennoch und durchaus noch, diejenigen, die mit Künstlern zusammensitzen, ihnen, in welcher Art auch immer, ein Überleben, manchmal sogar ein Leben ermöglichen, ohne dieses gigantische Werbebegleitgetöse. Doch das sind Freunde der Künstler, weil der Kunst. Und mit denen ist gut zusammensitzen bei gutem Essen und gutem Wein. Und unter denen da ist keiner, der nicht liest, weil er schließlich Maler ist oder zu predigen oder Zertifikate zu verkaufen oder zu retten hat.

Private (heute würde es heißen: privatwirtschaftliche) Förderung nach mäzenatischem Vorbild war und ist vonnöten. Die beziehungsweise deren guten Seiten zu erwähnen, sehe ich weniger als ‹ehrenhaft› an, sondern ist der Tatsache geschuldet, daß sie stattgefunden hat, stattfindet, wenn auch eher im Stillen — da ein ‹gemeinsames› Wirken von Privatwirtschaft und öffentlicher Hand mittlerweile nahezu ausnahmslos nur noch als Werbegeschrei daherkommt.

Es müssen ja nun wirklich nicht, auch wenn's mir persönlich weitaus mehr behagte als dieser nur noch von Reklamegeldern zugehängte Zirkusrummel, triste Urständ' zurückgeholt werden, in denen es im öffentlich-rechtlichen Kulturprogramm verpönt war, eine Veranstaltung zu erwähnen, die privat finanziert worden war. War früher die Erwähnung einer Ausstellung in einer privat geführten Galerie innerhalb der Hauptabteilung Kultur geradezu unmöglich, gehört das heute zum Alltag. Was Wunder, wird doch mittlerweile nachgerade jedes städtische oder staatliche Museum mit Sponsorengeldern zugehängt; die Theater oder Orchester weniger, da die sich in keiner Kunstblase befinden. Dennoch wird ständig darüber nachgedacht, das eine oder andere abzuwracken, wenn auch ohne Prämie, obwohl es beileibe nicht so viele Kilometer drauf hat und nicht nur technisch intakt ist. Und selbst das war keine kreative Eigenleistung von Frau Merkel, sondern genaugenommen ein — es paßt so schön in die Aktualität — Plagiat. Lange vorher gab's in Frankreich eine Abwrackprämie.

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