Vergessen und Verdrängen

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Mittwoch, 13. Februar 2013

Alles — oder das meiste — auf den technischen Fortschritt (Computer) sowie den Wohlstand zu reduzieren, wie das der Psychologe Michael Winterhoff oder andere tun, reicht mir zur Argumentation nicht aus. Einen wesentlichen Aspekt erwähnt er: Kinder Kinder sein lassen. Und: Eltern und gar Großeltern wollen geliebt werden. Die Angst vor Liebesentzug. Das scheint mir signifikant. Es stellte allerdings ein Mißverständnis des Begriffes Liebe dar. Quasi: Ich lege mir ein Kind zu wie einen Hund. Aber neu ist diese Erkenntnis auch nicht.

Was bleibt: «... da die Gesellschaft so lieblos geworden ist». Das habe ich vor längerer Zeit selbst bereits festgestellt. Aber weshalb ist sie das? Der Wohlstand. Nun ja, der beinhaltete dann bereits einiges an Kritik in sich. Vor lauter Geldmachen keine Zeit mehr für die Liebe; eine Liebe, die Zuwendung bedeutet, nicht Selbstsucht. Da müssen wir nichtmal die großen Philosophen und Geschichtsschreiber bis hinter die Antike herauskramen. Wir würden nur nachlesen, was wir bereits zuvor wußten: Wer viel Geld hat, kann sich auch viele Kinder «leisten». Und sich, so man möchte, abends um sie kümmern; tagsüber erledigt das ein Kindermädchen oder auch zwei. Ich weiß, wovon ich rede, bin ich doch in solchen Verhältnissen aufgewachsen. Angenehm war's nicht. Papa war nie da, und Mama hatte nie Zeit. Dennoch haben sich meine Störungen in Grenzen gehalten. Etwas an Willen und Konsequenz muß man allerdings aufzubringen bereit sein. Und ganz ohne Schmerz geht's sicher auch nicht aus. Für alle.

Wie wir auch gut Geld verdienten, bereits vor den neunziger Jahren, und in denen dann (vielleicht) nochmal besser; gleichwohl sich bereits die Abstriche durch andere ankündigten, da das Geld ja jetzt anderswo dringend gebraucht würde. Dennoch haben wir uns nicht dem Schicksal überlassen, wie das bei so vielen Schilfrohren im Wind heute der Fall ist. Diese Hilflosigkeit, begünstigt durch eine zunehmende Freiheit vom Denken, diese Flucht ins Seichte macht mir zu schaffen. Da dümpeln die Kähne allesamt in Küstennähe herum, führungslos. Es wird fast nur noch von Festplatte geredet, als ob er kein Hirn hätte, der Mensch, das bald sterben wird, seiner Funktion beraubt; ein immer weniger benutztes Organ zieht sich zurück und wird zum Blinddarm.

Möglicherweise, nein, ich bin sicher, da muß die Lupe hin: tatsächlich, der Wohlstand, aber einer, der anders verstanden wird, als er verstanden werden sollte. So verstanden wird von einer Minderheit, die an nichts anderem interessiert ist — als an der Geldscheffelei, aufgeheizt, befeuert von Politikern, die beteiligt sein wollen an diesem Gastmahl. Riesige Grabhügel, angefüllt mit Reichtümern, derjenigen, die ihr Leben lang nichts anderes wollten, als sie anzuhäufen, mit leuchtenden Augen vermutlich bei dem Gedanken daran, wie es sein würde, einige tausend Jahre später darin ausgegraben zu werden. Dafür haben sie den allgemeinen Wohlstand ausgerufen. Um rascher an diesen zu gelangen. Da man für diese Anhäufung wenig Zeit hat, nimmt man sie den anderen. Sie müssen ran. Immer weniger bleibt denen, um zu sich selbst zu finden. Fünf Jahre oder gar mehr für ein Studium? Das hält nur von der Arbeit ab, die benötigt wird fürs Geldverdienen. Also Kurzstudium. Inhalte aus verschiedenen Perspektiven betrachten, ganze Sachverhalte ausleuchten, hinter auch mal nicht ganz so logische Zusammenhänge kommen? Gestrichen. Sich aufs wesentliche konzentrieren.

So entsteht aus dem einstmaligen philosophischen Hinterfragen ein schlappes, bedeutungslos gewordenes umgangssprachliche Wörtchen. Voller Fragen bis hin zur Fraglosigkeit steht die junge Frau am Ende ihres Studiums da und stellt fest, daß sie genausogut hätte zum Discounter gehen können, um dort Regale mit Waren für die anderen nicht (mehr) so gut Verdienenden zu füllen. Nicht nur wegen des Gehalts, das man ihr anbietet, Bachelor hin oder gar Diplom oder noch neuerdeutsch Master oder mittlerweile noch gefährlcher, weil bald gesellschaftlch geächtet, Dissertation her. Auch weil sie nicht mehr weiß als die Kassiererin, wurde ihr selbständiges Denken doch nicht einmal ansatzweise vermittelt. Allenfalls Ahnung hat sie von der Welt, wenn auch kaum mehr als die Auffüllerin der Regale. Des Denkens und damit ihrer Würde enthoben flieht sie in die Zerstreuung. Ein Kind? Oder ist das zuwenig Spaßgesellschaft? Aber einen Spaß kann man sich machen, damit. Es bietet viel Abwechslung, so ein Kind (bis man es ein wenig aus dem Blickfeld verliert). Der Vater des Kleinen hat ja Arbeit gekriegt. Als Ergebnis des tage- und nächtelangen Studium? Die Frage danach wäre weniger hinterfragen, als erst einmal zu stellen. Nun gut, Experte ist er geworden. Informationstechnologe, promovierter Fachmann für technische Intelligenz. Die eigene ist dabei aufs wesentliche konzentriert. Auf die Entwicklung für Roboter. Darüber nachzudenken, daß die ihm das Denken nicht abnehmen können, dafür hat er keine Zeit. Doch, später, mit knapp vierzig, wenn sie ihn ausgemustert haben, weil er ausgebrannt ist.

Dann sitzt er zuhause mit einem orientierungslosen Backfisch und dessen Mutter, die ihm die Welt auch nicht erklären können. Folglich spielt er mit den Geräten, die er bedienen kann. Weil seine organische Festplatte zum Blinddarm verkümmert ist.

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